Abos!

DAS HAUS IST EIGENTLICH EINE BOX AUS STROH.

Oberhalb von Laax-Murschetg, auf 1200 m ü. M. haben sich Sarah und Giusep Gliott ihr Traumhaus gebaut. Wichtig waren von Beginn weg ökologische Aspekte und der autarke Baugedanke. Deshalb ist ihr Haus ein «Strohballenhaus» geworden.

Text: Maya Höneisen
Bilder: Mathias Kunfermann

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Die Aussicht hier oben ist phänomenal. Vor uns liegen die Bergwiesen, über und über mit gelbem Löwenzahn bedeckt. Auf der gegenüberliegenden Talseite ragen majestätisch der Piz Riein und dahinter der Piz Fess in den Himmel. Angesichts dieser grandiosen Natur bleibt man ganz gerne ein bisschen hier oben. Sarah und Giusep Gliott können das verstehen. Sie wohnen ganzjährig an diesem idyllischen Flecken. Auf dem Maiensäss Pardatsch bewirtschaften sie ganzjährig ihren «Galloway-Hof».

Entscheid fürs Maiensäss

Dass Sarah und Giusep hier oben gelandet sind, ist kein Zufall. Es war eine gut durchdachte Entscheidung. Ebenso wie diejenige, ein «Strohballenhaus» zu bauen. Wir sitzen am Küchentisch, haben durch die komplett verglaste Südseite des Hauses dieses berückende Bergpanorama vor Augen und geniessen nach der Fahrt über das enge Bergsträsschen nach oben erst mal den Ausblick und einen Kaffee. Ihr Haus habe eine einmalige Atmosphäre, sei warm und gemütlich. Sie fühle sich sehr wohl darin, sagt Sarah in einem Dialekt, der nun ganz und gar nicht in die Surselva passt. Sie lacht. Ja, sie sei in Grenchen aufgewachsen und habe Pharmazie studiert. Mit Flair für Komplementärmedizin, fügt sie bei. Eine Stelle habe sie ins Engadin geführt. Und eben da hat sie im Jahr 2002 Giusep getroffen. Er absolvierte damals die Tourismusfachschule Samedan. Giusep stammt aus einer Laaxer Bauernfamilie. Nach dem Tod seines Bruders stand er vor der Entscheidung, den Hof zu verkaufen oder ihn selbst zu übernehmen. Giusep wagte einen Quereinstieg in die Landwirtschaft. Allerdings war der vormals vom Bruder betriebene traditionelle Milchwirtschaftsbetrieb nicht sein Ding. Ausserdem entsprach der alte Anbindestall mitten im Dorf Laax nicht mehr den gesetzlichen Anforderungen und beim 430-jährigen Elternhaus standen Renovationen an. Neue Lösungen waren gefragt. Aus vier möglichen Varianten fiel der Entscheid auf das Maiensäss Pardatsch. «Das hat einfach am meisten Sinn gemacht, weil auf Pardatsch der grösste Teil des eigenen Landwirtschaftslandes liegt», erklärt Giusep. Zudem liebäugelte der ausgebildete Tourismusfachmann mit der Möglichkeit, den Galloway-Mutterkuhhaltungsbetrieb mit Agrotourismus zu ergänzen. Zwischen 50 und 60 Tiere hat er inzwischen auf dem Hof. Das Fleisch vermarktet er direkt.


Das verwendete Stroh ist unbehandelt.Ökologische Aspekte und der autarke Baugedanke waren ausschlaggebend für den Bau des Strohballenhauses.Beim Innenausbau (hier das Schlafzimmer) entschieden sich Sarah und Giusep Gliott für Holz und luftgetrocknete Lehmziegel.

Ein Strohhaus braucht Platz

Sarah steckte in zusätzlichen Studienjahren als Naturheilpraktikerin und Homöopatin, Giusep nach der Ausbildung zum Landwirt in derjenigen zum Betriebsleiter und Meisterlandwirt, als sie über eine Bekannte vom Architekten Werner Schmidt in Trun hörten, der sich nun mit seinen Kenntnissen und Erfahrungen im Bau von Strohballenhäusern den Wünschen von Sarah und Giusep nach autarkem Wohnen annahm.

«Ein sinnvoller Umgang mit uns und der Umwelt ist uns wichtig», fasst Sarah ihre gemeinsame Philosophie zusammen, die schliesslich ausschlaggebend war zum Entscheid für die Bauweise mit Stroh. Ein Strohhaus hat wegen der Dicke seiner Mauern einen höheren Platzbedarf. Aber auch das war auf Pardatsch kein Problem. «Platz hatten wir hier ja genug», sagt Giusep und lacht.


Das Abenteuer «Strohballenhaus» beginnt

2009 wurde in der Landwirtschaftszone der neue Laufstall gebaut. Das ermöglichte die Bewilligung für die Errichtung des Wohnhauses. Baubeginn war im Oktober 2010. Da Bündner Stroh nicht zu finden war, liessen Sarah und Giusep die Ballen aus Süddeutschland kommen. Sie seien alle unbehandelt, einzig die einzelnen Fasern seien länger geschnitten als bei üblichen Ballen, erklärt Giusep. Ganz wichtig sei, dass sie trocken seien und bis zum Einbau auch trocken bleiben, fügt er hinzu. Sie wurden deshalb gut abgedeckt im bereits gebauten Stall untergebracht. «Das Haus ist eigentlich eine Box aus Stroh», führt Giusep weiter aus. Auf den Betonboden kamen Holzbalken, darauf die Strohballen. Der Fussboden ist durchgängig durchs ganze Haus wiederum eingefärbter Beton. Die Aussenwände bestehen aus Strohballen, die tragenden Innenwände sowie die Fensterrahmen aus vorgefertigten Holzrahmen. Auch für die Dachisolation wurde Stroh verwendet und die Fensterfront gegen Süden mit einer Dreifach-Isolierverglasung versehen. Für den Innenausbau entschieden sich Sarah und Giusep für Holz und luftgetrocknete Lehmziegel. Zwischen Ziegelwänden wurde Schafwolle zur Lärmdämmung eingefüllt. Auf die Aussenwände kam erst ein Grundputz, darauf weisser Kalk. Und die Feuerpolizei? Giusep lacht: «Die hatte kein Problem, das Stroh ist ja gut eingepackt.»

Eine Stunde Sonne für fünf Tage Wärme

Sarah kommt nun nochmals aufs Wohnklima und den Komfort zu sprechen. «Die Wände sind atmungsaktiv und die Lehmwände neutralisieren Feuchtigkeit und Gerüche», erklärt sie. Da sie kaum heizen würden, trockne auch die Luft nicht aus. Das ergebe eine sehr angenehme Atmosphäre, sagt sie. Auch wenn in ihrer und der angebauten Ferienwohnung je ein Specksteinofen steht, werden diese bei Gliotts selten eingefeuert. Das besorgen die grosse gegen Süden liegende Fensterfront und die Sonneneinstrahlung. Eine Stunde Sonne pro Tag würde die Raumtemperatur für fünf Tage halten, auch im Winter, weiss sie inzwischen aus Erfahrung. Das Holz für die Öfen, ungefähr ein Ster pro Jahr, stammt aus dem eigenen Betrieb. Nahe ans autarke Wohnen kommt das Paar auch mit der eigenen Wasserquelle, der Sonnenkollektoranlage für Warmwasser und der Membranfilter-anlage für die Entsorgung des Schmutzwassers. Die 2014 erbaute Photovoltaikanlage im Netzverbund auf dem Dach des Freilaufstalles erzeugt ein Mehrfaches an Elektrizität, als verbraucht wird. Mit einer entsprechenden Batterieanlage könnte der Hof komplett von öffentlichen Netzen abgekoppelt werden.

Wir machen mit Giusep noch einen kleinen Rundgang durchs Haus. Er zeigt uns einen Gewölbekeller aus Trockensteinmauern. Die Steine habe er während des Baus aus dem Aushub genommen und so weiter verwendet, sagt er. Auffallend sind die im ganzen Haus verteilten alten Bauernmöbel, eine Leidenschaft von Giusep. Viele davon stammen aus seinem Elternhaus, welches inzwischen verkauft ist. Weitere hat er in einem leer-stehenden Stall gelagert. Im Schober neben dem Laufstall, wo jetzt die Galloway-Rinder lautstark ihren ersten Gang auf die Bergwiesen fordern, möchte er damit einmal ein kleines Museum einrichten.


Die grosszügige offene Galerie im ersten Stock.Der im Jahr 2009 gebaute Laufstall ermöglichte die Bewilligung für das Wohnhaus.Haus GliottFamilie Gliott

Fakten

Baujahr: 2010 bis 2011
Planungszeit: 18 Monate
Bauzeit: 16 Monate
Wohnraum: 258 m2
Kalte Räume: 60 m2

Das Wohnhaus weist einen U-förmigen, mit Jumbo-Strohballen «gemauerten» Grundriss auf. Die Südfassade wurde mittels einer Solarfassade zur Aussicht hin vollständig geöffnet. Die Nebenräume sowie die Erschliessung befinden sich an der Nordfassade. Das Gebäude wurde als eine lasttragende Hybridkonstruktion aus Stroh und mehrschichtigen Kreuz­lagenplatten aufgebaut. Die Innenräume wurden als reiner Holzplattenbau erstellt. Das Dach wird von den Strohwänden getragen. Im Innern wurden die Kreuzlagenplatten teils in ihrer natürlichen Holzoberfläche belassen und teilweise mit Lehmziegeln als Wärmespeicher vorgemauert.