Abos!

ARBEIT BLEIBT ARBEIT.

Erst waren anstelle des alten Hauses mit Stall an der Chrüzgass in Trimmis zwei Wohnhäuser geplant, doch dann entschied sich OG27, das Ensemble beizubehalten und selbst dort zu arbeiten, wo früher der Bauer im Stall gearbeitet hat.


Text: Fridolin Jakober

Bilder: Ingo Rasp

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Das Büro von OG 27 lag bis vor kurzem mitten in Chur, im historischen Haus am Pfisterplatz, einem Zeugen der Biedermeierarchitektur. Doch als sich die Möglichkeit ergab, etwas Eigenes zu bauen und mit dem Büro nach Trimmis zu ziehen, griffen Lorenzo Lazzarini und sein Team zu, obwohl der Kontrast nicht grösser sein könnte. Denn statt eines grossbürgerlichen Biedermeiergebäudes ist jetzt ein Stall zur neuen Arbeitsstätte geworden. Geschäftsleitungsmitglied Joel Jakob wurde mit der Projektierung beauftragt, die Werk­leitung übernahm Annigna Scharplatz. «Aus der Substanz des Stalles ergab sich, dass man das Ensemble mit Wohnhaus beibehalten wollte», sagt Joel Jakob. «Bei den ersten Entwürfen planten wir zwei Wohnhäuser, was auf dieser Parzelle sehr gut realisierbar gewesen wäre. Doch zwei Hüllen wären hier – mitten im Dorf Trimmis – eine stärkere Veränderung gewesen. Also suchten wir eine Annäherung an die ursprüngliche Nutzung, das Wohnhaus mit Stall.»

Nostalgie

In fast allen Bündner Dörfern, ja selbst in der Stadt Chur, prägen Ställe und die Landwirtschaft das Ortsbild. So zeigt etwa Armando Ruinelli in Soglio (Bergell) seit 40 Jahren, wie Architektur zwischen Erhalten und Gestalten mit der Tradition der vielen Ställe umgehen und diese neu interpretieren kann. Auch im Hufeisendorf Trimmis baute man Ställe direkt an die Häuser, denn für den Landwirt war es ja praktisch, die Tiere nahe bei sich zu haben, um sie zu füttern und zu melken. Viele dieser Ställe verschwanden aber mit der Modernisierung der Landwirtschaft aus den Dorfkernen – nicht so bei diesem Wohnhaus mit Stall zwischen Chrüzgass und Aspermontweg. Noch heute kann man sich gut vorstellen, wie früher die Kühe am Brunnen getränkt und dann durch die engen Gassen des Dorfes in den Stall getrieben wurden. Deshalb entschieden Joel Jakob und OG 27, am Bestehenden festzuhalten. «Jetzt ist der Stall der Arbeitsort, wie es früher war, und das Wohnhaus ist Wohnhaus wie in der ursprünglichen Nutzung», sagt Jakob. Allerdings gibt es zwei Eigentümer: Ein junges Paar, welches das Wohnhaus nach seinen Vorstellungen mitgestalten liess, und das Architektur­büro, welches hier im Sommer 2023 Sitzungsräume und hohe offene Büros bezogen hat.


Arbeiten im Stall: Die Holzstruktur ist geblieben, neue Buge und zwei neue Stützen sorgen für Stabilität.

Glatter Bewilligungsprozess

«Die Gemeinde Trimmis hat auch verstanden, was wir damit wollen und weshalb wir es so machen», so Joel Jakob. «Da war von den Behörden und der Denkmalpflege sofort das Verständnis da, denn vom Ortsbild her ist es schön, den Stall zu erhalten. Ein Projekt wie dieses, das die Substanz erhalten will, macht vieles einfacher. Es waren einerseits alte Gebäude da, wo man noch wenig gemacht hatte, und es entsteht jetzt eine neue gebaute Substanz, die sich aber einpasst.» Konkret bedeutet das: Die Natursteinmauern sollten bleiben, die Holzstruktur ebenfalls und die Tragstruktur sollte sichtbar bleiben. Die Konsequenz aus diesem Vorgehen, so Annigna Scharplatz: «Der Ingenieur musste vieles vor Ort abschätzen und jedes Bauteil musste für sich angeschaut und analysiert werden.» Das Ateliergeschoss zuoberst im Wohnhaus ist viel höher als die anderen Räume dieses Hauses. Weil aber die Tragkonstruktion des Stalles übernommen werden konnte, liess das Verhältnis der Raumhöhen in beiden Gebäuden eine schöne Entwicklung zu.

Allerdings musste man im Stall dafür einiges verstärken. Die Balkenabstände betragen dort 1,10 m – normal wären es bloss 60 cm – deshalb entschied man sich aus statischen Gründen für 3 cm dicke Dreischichtplatten, baute zwei neue Stützen ein und fertigte auch die Buge an den Stützen neu, statisch wurde also ein enormer Aufwand betrieben. Die Sparren am Dach, so Scharplatz, sollten verkleidet werden. «Das Dach ist neu – allerdings wurde es mit alten Biberschwanzziegeln gedeckt.» Für 90 Prozent des Dachs konnten die bestehenden Ziegel verwendet werden, der Stall – also der neue Arbeitsort des Architekturbüros – bekam eine Blechdacheindeckung. «Da die Sparren des Daches noch gut in Schuss waren, wurden sie belassen und gebürstet. Obendrauf kam eine schwarze Täferverkleidung, auf die Sparren sowie in der Dämmebene kam noch einmal eine Sparrenlage, um diese zu verstärken. Auf Stallseite besteht das Dach nur aus Sparren, Lattung und Ziegeln.»

Die geringeren Raumhöhen im Wohnhaus machen das Wohnen dort behaglich. Dies wird unterstützt durch viel Holz beim Ausbau. «Vorher wohnte eine einzelne Person drin», erinnert sich Joel Jakob. «Oben war nur eine Hängematte im Dachstuhl gespannt.» Dieses Platzgefühl sollte erhalten bleiben, der Estrich wurde zum Atelier. «Mit der Bauherrschaft kamen wir oben wieder zu diesem offenen Raum – der flexibel nutzbar wird, es soll ein Nähatelier geben, der Raum soll auch fürs Homeoffice nutzbar sein.» So schliesst sich auch da wieder der Kreis von Arbeitsraum einst zu Arbeitsraum heute. «Das Büro ist das erste Projekt in dieser Grösse, das ich umsetzen darf», sagt Jakob. «Lorenzo Lazzarini und ich kennen uns vom Studium. Ich arbeitete früher bei Robert Albertin, dann kamen die ersten Projekte, wo wir mit Entwerfen begannen. Durch das gemeinsame Studium entwickelte sich eine Freundschaft.» Das prägt bis heute die Art, wie bei OG 27 zusammengearbeitet wird. «Wir setzen uns an einen Tisch, kritisieren die Projekte gemeinsam, es entstehen Gespräche auf einer Ebene. Gemeinsam zu entwickeln macht die Arbeit extrem spannend, gerade bei diesem Projekt, wo der Austausch mit der Bauherrschaft direkt über uns läuft.»


Bruchsteinmauern und Holzbalken – eine Kombination wie geschaffen für Kunst und Arbeit. Im Dachstock ist das Sitzungszimmer mit Aussicht – der höchste Raum im Gebäude.

Lernprozess

Der intensive Austausch ist das eine, dazu kommt der Lernprozess, der bei einem bestehenden Gebäude besonders herausfordert. Der Architekt kann dabei nicht nur Gestalter sein, sondern auch die verschiedenen Interessengruppen verbinden. «Der Bauherr hat mich als Architekten auf seiner Seite, als Architekt bin ich dann auch das Bindeglied von der Bauherrschaft zur Denkmalpflege. Was fruchtbar ist.  Einerseits kann ich in diesem Prozess für den Bauherrn und das Objekt aus der Arbeit der Denkmalpflege viele Informationen herausziehen, um dann mit der Denkmalpflege einen tragfähigen Kompromiss für den Bau des Objekts zu finden. Zudem kann ich das Wissen, das ich aus anderen Umbauten mitnehme, bei zukünftigen Bauten wieder einbringen.» Mit dem Abschluss des Studiums ist also das Lernen bei weitem nicht abgeschlossen.

Ebenfalls anspruchsvolle Ziele hat Annigna Scharplatz, die auf dem Weg zur Bauleiterin ist – eine Ausbildung, die breite Berufspraxis voraussetzt. Ursprünglich lernte Scharplatz bei Jüngling und Hagmann Hochbauzeichnerin. In ihrem Lehrbetrieb konnte sie bereits im letzten Lehrjahr ein Projekt an der Oberen Plessurstrasse übernehmen und dort ein Waschhäuschen umbauen. «Doch ich will in der Bauleitung weiterkommen – mir gefällt der Kontakt mit den Unternehmern und der Bauherrschaft. Also bewarb ich mich hier bei OG 27, als ich noch in der Lehre war. Ich machte aber schon beim Bewerbungsgespräch zur Bedingung, dass ich Bauleitungen übernehmen darf.» 2025 will Scharplatz ihren Abschluss als eidg. diplomierte Bauleiterin machen. Da man für die Bauleiterschule zwei Jahre Berufserfahrung haben und zudem für den eidgenössischen Abschluss fünf Jahre lang zu 100 Prozent als Bauleiter gearbeitet haben muss, ist dieser Zeitplan ambitioniert – der Bürobau in Trimmis ist aber ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu diesem Ziel.

«Zuerst konnte ich bei OG 27 einen Anbau in Domat Ems führen, doch das hier ist das erste grosse Projekt, das ich habe. Das ist anspruchsvoll, als junge Frau auf dem Bau – das muss man sich erkämpfen. Doch wenn der Wille da ist, kann man es schaffen, und ich habe sehr gute Unterstützung vom Büro her.» Ihre Erfahrungen mit dem Umbau in Trimmis: Auf Überraschungen gefasst sein und Reserven einplanen. «Täglich kommt etwas Neues zum Vorschein, es gibt vieles, was man im Voraus so noch gar nicht sehen kann, selbst wenn man das Haus genau anschaut. Es lohnt sich also, für die Offert­eingabe lieber zu viel auszuschreiben als zu wenig.» Auch die Herausforderungen am Bau selbst sind vielfältig: gestalterisch, technisch und statisch.


Das junge Paar liess das Wohnhaus nach seinen Vorstellungen mitgestalten.«Oben war nur eine Hängematte im Dachstuhl gespannt.»

Ein Beispiel dafür ist der Kalkputz am Stall. Er wurde von einem Vorbesitzer einst nachträglich aufgetragen und platzt jetzt ab. Eigentlich logisch, denn so ein Stallmauerwerk zieht Feuchtigkeit. «Ein solches Bruchsteinmauerwerk ist nicht dicht zu bekommen, aber Naturstein geht auch nicht kaputt. Also entschieden wir uns für die Stabilisierung der Bruchsteinmauer, sie soll atmen können», so Joel Jakob. «Es gibt aber noch einen anderen Grund, die Mauer offen zu lassen. Denn durch die dichteren Fenster im Obergeschoss kann das Haus dort nicht mehr atmen, also braucht es das Bruchsteinmauerwerk im Untergeschoss für den Austausch der Luft. Deswegen wird es dort bewusst nicht abgedichtet.» Kreativ ist auch die Lösung zur Entfeuchtung: «Unser Entfeuchter wird der Computerserver sein. Im Sommer heizt der Server auf 40 Grad, diese Wärme trocknet die Luft aus und damit auch das Mauerwerk. Das können wir allerdings nur so lösen, da wir selbst da reingehen, für so etwas braucht es den Austausch mit der Bauherrschaft.» Das gilt auch für Smart Home und Photovoltaik, geplant und installiert durch die D. Hodel Elektro AG. Die PV wird von beiden Parteien in einem Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV) genutzt. Im alten Gebäude steckt also modernste Technik. Licht, Beschattung, Heizung, Audio- und Videoanlagen können von überall gesteuert und bedient werden. Das A und O bleibt die offene Kommunikation – zwischen Architekt und Bauleiterin, aber auch mit der Bauherrschaft, die das Wohnhaus gekauft hat. «Es sind», so Jakob, «mega­lässige Leute, die auf einer Wellenlänge mit uns sind, was die Kommunikation mit der anderen Bauherrschaft einfacher machte.» ?


Die geringeren Raumhöhen im Wohnhaus machen das Wohnen dort behaglich.Vom Ortsbild her ist es schön für Trimmis, dass der Stall erhalten wurde.