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KALK: BAUMATERIAL MIT LANGZEITERFAHRUNG.

Kalk hinterliess in jahrhundertelanger Tradition seine Spuren in der Baukultur. Seine Vorteile und seine vielfältigen Verarbeitungsmöglichkeiten sind auch heute noch einzigartig.  


Text: Maya Höneisen

Bilder: Alice Das Neves; Christian Aubry; Beat Fischer

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Kalkputz ist einer der ältesten Baustoffe der Menschheit. Bereits in der Antike war die Kunst des Kalkbrennens weit verbreitet. Die Industrialisierung im 20. Jahrhundert hat das reiche hand­werkliche Wissen in den Hintergrund verschoben. Heute besinnt man sich wieder eher auf die positiven Eigenschaften dieses Baustoffes und des Handwerks.

In Ilanz beschäftigt sich ein ausgewiesener Kenner mit dem Material Kalk. Im ehemaligen Eiskeller hat sich Christian Aubry mit seinen Söhnen eine Kalk-Werkstatt mit Steinbildhauerei, Atelier und Schreinerei eingerichtet. Er sagt: «Der Kalkmörtel, dieses ursprüngliche Baumaterial, ursprünglich wie Holz, Stein, Lehm und Eisen, erinnert uns immer wieder daran, wie vorzüglich diese Materialien sich in der Baukultur bewährt haben und sich beispielhaft in die Regel eines gesunden Kreislaufes einfügen.» Aubry bedauert, dass die traditionellen Baustellen mit ihren lokalen Eigenheiten und Herstellungsverfahren beinahe vergessen gegangen sind und die Bereitstellung der einfachsten Materialien wie Sand, Kies und Naturstein oftmals industrialisierten Vertriebswegen gehorcht. Zum Kalkputz hält er fest: «Der Kalkputz ist eines der wenigen Materialien mit einer Langzeiterfahrung, die Jahrhunderte zurückführt.»


Christian Aubry pulverisiert regionale Gesteine zu Farbpigmenten.Christian Aubry pulverisiert regionale Gesteine zu Farbpigmenten.

Vielfältig einsetzbar

Der Kalkmörtel und seine Verarbeitung unterlägen einem angelernten Wissen, weiss Aubry und erklärt: «Als ursprüngliches Kalkgestein wird Kalk durch den Kalkbrand zu Stückkalk oder eingesumpftem Stückkalk, dem Sumpfkalk oder Grubenkalk, umgewandelt. Je nach Grösse der Brennöfen (Feld- oder Hochöfen) beträgt die Brandzeit zwischen sechs und neun Tagen. Die Brandtemperaturen von ungefähr 1000° C richten sich nach dem Material, Kalk- oder Dolomitgestein, dessen Calciumgehalt die Qualität des gebrannten Kalks bestimmt.»


Kalkgestein (links) ist nach dem Brand weiss, brüchig und um ca. 50% leichter.Mit Wasser gelöscht, werden die brüchigen Steine in einem chemischen Prozess zu einer kochende Masse und zum verwendbaren Kalk, der eingesumpft wird.Mit Wasser gelöscht, werden die brüchigen Steine in einem chemischen Prozess zu einer kochende Masse und zum verwendbaren Kalk, der eingesumpft wird.Mit Wasser gelöscht, werden die brüchigen Steine in einem chemischen Prozess zu einer kochende Masse und zum verwendbaren Kalk, der eingesumpft wird.Mit Wasser gelöscht, werden die brüchigen Steine in einem chemischen Prozess zu einer kochende Masse und zum verwendbaren Kalk, der eingesumpft wird.

Mit Wasser abgekühlt respektive gelöscht, werden die brüchigen Steine nach dem Brand in einem chemischen Prozess erst zu einer kochenden Masse und dann zum verwendbaren Kalk. Je länger die Einsumpfzeit, desto feiner und wertvoller wird der Naturkalk. Hochwertiger Naturkalk mit langer Reifezeit wurde deshalb früher nur für repräsen­tative Prachtbauten verwendet. Der Kalkmörtel zeichnet sich durch seine Diffusionsoffenheit, seine desinfizierenden Eigenschaften, durch seinen hohen pH-Wert, seine Elastizität und vor allem durch seinen Charme aus. Aubry ist überzeugt von der Vielfalt des Materials: «Kalkputz ermöglicht ein breites Einsatzgebiet im Aussen- und Innenputz. Die Anwendungen reichen vom Sumpfkalk-­Feinputz bis zum Rasa-Pietra-Kellenabrieb, vom Tadelakt bis zur geseif­ten Kalkglätte», erklärt er. «Kommt dazu, dass Kalkfarbe als Mittel zur Veredelung von Gebäuden im Innen- und Aussenbereich eine vorzügliche Art ist, mit natürlichen Pigmenten Raumstimmung zu schaffen. Kalkfarben werden mehrschichtig gestrichen und erzeugen so eine einzig­artige, tiefschichtige Farbgebung», führt er weiter aus. Als überzeugter Verfechter dieses Materials fasst er zusammen: «Das Mate­rial Kalk in Anwendung von Putzen bildet in seinem Kreislauf einen geheimnisvollen Prozess. Durch Feuer und Wasser wird er formbar, um mit der Zeit wieder zu erhärten.»


Das ursprüngliche Baumaterial Kalkmörtel hat sich in der Baukultur über Jahrhunderte bewährt.Bei Sgraffiti werden aus einer feuchten, mit hellem Kalkanstrich übertünchten Putzschicht mit Stiften und Messern Ornamente gekratzt.Das ursprüngliche Baumaterial Kalkmörtel hat sich in der Baukultur über Jahrhunderte bewährt.

Verschiedene Bemalungsphasen

Ortswechsel nach Präz am Heinzenberg. Mitten im Dorf steht die Tgea Plaz, bestehend aus mehreren Gebäudeteilen: dem Haupthaus im Südosten mit einem Anbau an der Nordseite und dem Hinterhaus im Westen. Die Jahreszahl 1675 könnte als Erstellungsjahr gesehen werden. Bis in die Fünf­zigerjahre war die Tgea Plaz nicht nur Wohnhaus, sondern auch Restaurant und Verkaufsladen. Heute ist sie in Privat­besitz. Im Auftrag des Eigentümers und in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege hat der Restaurator Beat Fischer ein Konzept zur Restaurierung der Fassaden entworfen. Er hat bei seinen Untersuchungen festgestellt, dass die Fassaden des Haupthauses aus Natursteinmauerwerk mit grauem Luftkalkmörtel und Fassadenmalereien überzogen sind. Fragmente davon sind noch erhalten. In einer zweiten Bemalungsphase wurde die Fassadengestaltung über­­ar­beitet und der Anbau miteinbezogen. Die bestehenden Malereien wurden übermalt. Die dritte Bemalungsphase entsprach weitestgehend dem heutigen Aussehen, wobei man sich an der bestehenden Malerei orientierte und diese interpretierend nachgemalt hat. Das Konzept von Fischer sah vor, die Bemalungsphase drei zu erhalten respektive wiederherzustellen. In erster Linie sollten die Beschädigungen am Verputz und dessen Bemalung repariert werden.


Mit Lupe und Skalpell

Auch das Hinterhaus ist mit einem grauen Luftkalkmörtel überzogen. Die Fassadenflächen sind weiss getüncht und um die Gebäudeöffnungen und an den Hausecken, grösstenteils in Freskotechnik, dekorativ bemalt. In einer zweiten Phase wurde die bestehende Bemalung übermalt. Selbstredend setzte Fischer für die Restaurierungen wiederum Kalkputz ein. Dies beim Haupthaus und beim Hinterhaus in fast gleichen Arbeitsschritten:

  • Trockene Oberflächenreinigung
  • Verputzfestigung mit Sinterwasser
  • Nasse Oberflächenreinigung
  • Entfernung von beschädigtem oder unpassendem Verputzmaterial
  • Ergänzung der Putzfehlstellen mit Luftkalkmörtel, im Bereich des zementösen Sockels mit Zementmörtel
  • Schliessen von Rissen mit Luftkalkmörtel, im Sockelbereich mit Zementmörtel
  • Retusche der bestehenden Dekorationsmalereien
  • Ergänzung der Fassadenbemalung


Einige Monate lang arbeitete Fischer mit seinem Team auf der Baustelle. Bei der Voruntersuchung der Fassaden mit Lupe und Skalpell, um die Farbschichten zu finden und sie bei der Restaurierung so zu ergänzen, dass sie zu einem harmonischen Gesamtbild werden. Wobei für ihn durchaus sichtbar bleiben darf, was neu ist. Sorgfältig wurden mit Spachtel und Maurerkelle Risse mit Kalkmörtel geschlossen. Im angebauten Schuppen stand der dazu nötige Kalk bereit: in Tonnen der Stückkalk, in einer Wanne der bereits mit Sand geschichtete Kalk.


Die Tgea Plaz in Präz vor der Restaurierung.Das Natursteinmauerwerk ist mit grauem Luftkalkmörtel und Fassadenmalereien überzogen.

Verputze Bauten als Prestigeobjekte

Auch hier wird klar: Kalk ist seit jeher ein überaus wertvoller und ökologischer Baustoff und steht beispielhaft für die im Kanton Graubünden gegebenen Ressourcen. So waren selbst in den vom Holzbau geprägten Dörfern des Kantons Graubünden verputzte und weiss gekalkte Steinhäuser schon im 16., 17. und 18. Jahrhundert anzutreffen. Eine Eigen­tümlichkeit sind jene Holzhäuser, die durch Vormauerung oder das Verputzen der Holzfassaden als scheinbare Massivbauten verblendet wurden. Damit der Putz auf dem Holz haftete, wurden die Blockwände und das Balkenwerk mit Holznägeln versehen. Zu sehen ist eine solche Vormauerung mit den Nägeln auch am Hinterhaus der Tgea Plaz in Präz. Möglicherweise gaben diese Vormauerungen Schutz vor Brand. Vermutlich gaben diese verputzen Bauten als auch die Vormauerungen – oft verziert mit Sgraffiti – aber auch den sozialen Status ihrer Eigentümer wieder und waren Prestigeobjekte.


Für die Restaurierung wurde Kalkputz eingesetzt.

Kalkbrand wieder belebt

Im Jahr 2013 brannte der gelernte Maurer Johannes Wetzel im Unterengadiner Zuort in einem traditionellen Ofen Kalk. Einen zweiten Brand führte er ein Jahr später in der Val S-charl bei Tarasp durch, in einem Ofen, der im Jahr 1932 zum letzten Mal benutzt worden war. Wetzel brannte im Team mit 20 Handwerkern über 60 Tonnen Dolomit-Kalkstein. Mit dem selbstgebrannten Kalk restauriert Wetzel Fassaden und Sgraffiti. Die Kalkbrände sind in Filmen auf Youtube unter den Stichwörtern «Historisches Kalkbrennen» und «S-charl Kalkbrand 2014» zu finden.

Kalk macht Sinn

Die Gründe für den Einsatz von handwerklich gebranntem Kalk sind einleuchtend:   

  • Der hohe pH-Wert wirkt antibakteriell gegen Schimmel und Krankheitserreger.
  • Kalk ist frei von Schadstoffen und möglichen allergenen Zusatzstoffen.
  • Kalk ist geruchsneutral und bindet Gerüche und Schadstoffe. Zudem ist er antistatisch.
  • Kalk toleriert dank seiner Elastizität Spannungsunterschiede im grossen Mass.
  • Kalk eignet sich für den Innen- und Aussenbereich, ist atmungsaktiv und sorgt für ein gutes Raumklima.

 


Quellen

  • Hans Rutishauser – «Zur Bedeutung des Verputzes im ländlich-alpinen Raum Graubündens und zur Aufgabe der Denkmalpflege». Oskar Emmenegger, Historische Putztechniken.
  • Fischer Restaurierung GmbH: Tgea Plaz, Präz, Untersuchung und Restaurierungskonzept Fassaden
  • Interviews mit Christian Aubry und Beat Fischer

Arbeiten mit Kalk