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SOLARHAUS I, DOMAT/EMS – MEILENSTEIN UND EXPERIMENTIERFELD.

Vor 20 Jahren baute Architekt Dietrich Schwarz in Domat/Ems das Haus Solar I. Heute zieht er Bilanz und stellt fest: Vom solaren Gewinnhaus der 1980er- und 1990er-Jahre ging die Entwicklung Richtung Passivhaus und Sparhaus, doch das Konzept eines Nullenergiehauses sucht damals wie heute eine Balance zwischen Spartechnik, Gewinntechnik und moderner Haustechnik.

Text: Fridolin Jakober
Bilder: Grazia Branco & Roger Canali

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Es war ein Pionierbau der Solararchitektur und sein Erstlingswerk: Das Haus Solar I von Prof. Dietrich Schwarz, Architekt ETH/SIA, 1995 in Domat/Ems erbaut. Wie jedes energieeffiziente Projekt besteht es aus drei Teilen: einer innovativen Gebäudehülle, Haustechnik und Photovoltaik als sauberer Primärenergie. Sowohl die Photovoltaik wie die Haustechnik haben seither Quantensprünge gemacht. Der Schlüssel zu diesem Haus aber ist die Gebäudehülle. Sie besteht  aus einer transparenten Wärmedämmung (TWD), die hinterlüftet ist. «Dieses Haus ist inwendig ein Betonhaus, das heisst die Speichermasse ist so gross aus­gelegt, dass die Solargewinne im Winter aufgenommen und genutzt werden können.» Den Überhitzungsschutz leistet die Hinterlüftung der TWD zusammen mit den sensorgesteuerten Lüftungsklappen.

Vieles, was heute selbstverständlich ist, war damals noch Pionierarbeit. Deshalb arbeitete Schwarz mit Spezialisten vom Fraunhofer Institut in Freiburg zusammen – es war führend für solare Energie­systeme. Gemäss der damaligen Idee hat das Haus keine Heizung. Es wird ausschliesslich über die Lüftung geheizt, was die Heizleistung beschränkt. «Dieses Haus ist ein Meilenstein in der TWD-Technik, die Fassade war total on the edge. Es war auch der letzte Schritt in der Solartechnologie, die aber durch die heutige Spartechnologie obsolet wurde.»

Technologie verändert die Ästhetik

Die neue Technologie führte auch zu einer neuen Ästhetik: «Der Clou dabei war das Nachtbild. Aus der TWD-Technik entstand eine Laterna magica, von aussen nach innen. Tags schimmern die Wände, nachts leuchten sie.» Mit seinem Pionierprojekt hat Schwarz aber auch Erfahrungen gesammelt, weil er die Fassaden auch im Sommer nicht verschatten wollte. Anstelle von Stoff-Jalousien, die aus dem Haus ein Stoff-Haus gemacht hätten, entschied sich Schwarz für die Hinterlüftung als Überhitzungsschutz.

Steigender Komfort bei gleichem Energiebedarf

Im Winter kann auch bei wenig Sonneneinstrahlung dank der grossen Speichermasse des Betons das Auskühlen des Hauses verhindert werden, im Sommer allerdings steigen – trotz der Heizungssteuerung über die Lüftungsklappen – die Temperaturen. «Ich wohnte zehn Jahre lang allein darin, war als Pionier enthusiastisch und den Temperaturschwankungen gegenüber tolerant.» Als allerdings nach zehn Jahren seine Familie mit einzog, stiegen die Komfortansprüche. Dazu ersetzte er die Haustechnik, unter anderem durch eine Wärmepumpe mit einem Wirkungsgrad von 3 bis 3,5. Fazit: Das Haus brauchte auf einen Schlag dreimal weniger Strom, allerdings wurde in der Folge – aus Komfortgründen – auch öfter geheizt. «Jetzt bringt man die Temperaturbandbreite auf ein vernünftiges Mass: Bei 20 Grad wird geheizt, bei 26 Grad wird Wärme abgegeben.» Daraus resultierte ein gleichbleibender Energieverbrauch des Hauses von 4000 kWh pro Jahr, bei deutlich gewachsenem Komfort.


Das nach Süden ausgerichtete Haus mit Swimmingpool im Garten.Wohnraum mit offener Küche.Eine einheitliche Schrankfront bietet Stauraum für Kleider, diese wird beim Betreten der Zimmer durchschritten.

Die nächste Investition

Der Hang des Hauses, im Sommer zu überhitzen, kommt nicht etwa von der Süd- sondern von der Nordfassade, die als trans­luzide TWD-Lichtwand realisiert ist. «Selbst inklusive Sonnenschutzglas reicht es, dass die Sonne ab 17 Uhr flach, aber extrem direkt auf die leicht verdrehte Nordfassade einstrahlt, um an einem heissen Sommertag – wo die Temperatur tagsüber schon bei 25 Grad war – die Hitze im Haus innert kürzester Zeit auf 28 Grad zu treiben.» Von Beginn weg hatte das Haus deshalb eine minime Free-Cooling-Anlage. Über 30 Meter wird die Luft durch das Erdreich angesaugt – im Sommer wird die Erdkühle 1:1 ins Haus geblasen. Die nächste Investition – so Schwarz – wären also eine Nordfassade, die ebenfalls entlüftet werden kann, sowie der Einbau von Kippfenstern, über welche die Hitze schnell weg­gebracht werden kann. Doch zu 90 bis 95 Prozent hat das Haus die gesetzten Erwartungen erfüllt.

Nachhaltigkeit als Baustandard

Inzwischen konnte Dietrich Schwarz mit seinem Architekturbüro die erste Null-Energie-Wohnüberbauung realisieren, den Eulachhof in Oberwinterthur. Und: «Die Komponenten des Solarhauses, die im Haus Solar I quasi formel-1-mässig aus­gereizt sind, kommen in der Wohnüberbauung immer noch vor.» 2013 bauten Dietrich Schwarz Architekten das erste Minergie-P-Hochhaus der Schweiz in Schlieren. «Sie brauchen heute noch viel Knowhow, damit Sie energieeffizient und günstig bauen können. Zu wissen, wo es sich lohnt, eine Gewinnstrategie zu fahren, und wo wieviel Dämmung eingesetzt werden soll.» 1995 war dabei fast alles Pionierarbeit, heute ist aus dem nachhaltigen Bauen im positiven Sinne ein Wachstumsmarkt geworden.


cubatura_Gläserne Fassade mit transparenter Wärmedämmung TWD.cubatura_Dietrich Schwarz

Nachhaltigkeit – die fünf zentralen Themenfelder

Das heute gängige Drei-Säulen-Modell zur Definition von Nachhaltigkeit basiert auf ökologischen, sozialen und öko­nomischen Aspekten, die sich aber überschneiden. Für die alltägliche Praxis hat Prof. Dietrich Schwarz, Architekt ETH/SIA, Mitglied im Vorstand von MINERGIE, fünf Bedürfnisthemen definiert.

Ressourcen und Energie

Das älteste Thema der Nachhaltigkeitsdebatte trat mit der Ölkrise der 1970er Jahre auf. Ressourcen sind endlich, der Verbrauch fossiler Energie wirkt sich aufs Klima aus. Das führt zur Suche nach erneuerbaren Energien und zur Forderung nach Sparsamkeit und Effizienz beim Bauen und Betreiben von Gebäuden.

Raum und Mobilität

Raum ist in der Schweiz die wertvollste Ressource. Die Revision des Raumplanungsgesetzes friert die Siedlungsfläche der Schweiz ein. Das verlangt einen neuen Umgang mit dem Raum. Zudem können sowohl die Landschaft wie die Metropolitan­räume nur dank effizienter Verkehrserschliessung überleben.

Gesundheit und Wohlbefinden

Mit nachhaltig und regional produzierten Lebensmitteln lässt sich dem ungesunden Trend zur industrialisierten Nahrung entgegenwirken. Dazu braucht die Landwirtschaft Land. Nachhaltiges Bauen will trotz Energieeinsparung einen Wohnkomfort schaffen, der das Wohlbefinden steigert.

Demografie und Solidarität

Die Überalterung der Gesellschaft schreitet weiter. Das macht Fragen zur Pflegefinanzierung, zum altersgerechten Wohnraum, aber auch zum generationenübergreifenden Wohnen immer dringlicher. Im Zusammenhang mit der Migration gilt es zu fragen: Wie kann Architektur verschiedene Kulturen zusammenbringen?

Tragbarkeit und Werterhalt

Dieses Thema betrifft direkt die Ökonomie und fragt: Welche Massnahmen sind für einen Bauherrn, ein Unternehmen oder eine Volkswirtschaft tragbar? Um die Forderungen nach Energieeffizienz und Gebäudehülle umzusetzen, braucht es den vorausschauenden und sparsamen Umgang mit Investitionen und anstelle von (Ersatz-)Neubau tragbare Totalsanierungen. Langlebigkeit und Wiederverwendbarkeit sind zentral. Ebenso eine Architektursprache, die an die Bautradition anknüpft und mit ihren Formen Identität stiftet.