Abos!

KUNSTHALLE AN DER ALBULA.

Sie führen zu ebener Erde eine Kunsthalle mit Atelier und schlafen darüber im ersten Stock: Das Künstlerpaar Priska Schwab und Claudio Caprez und ihr Hund Buddha leben an der Albula in der ehemaligen Woll­deckenfabrik in Sils im Domleschg. Ein Augenschein bei drei Wesen aus einer Ära, als die Menschen Ironie noch zu schätzen wussten.


Text: Fridolin Jakober

Bilder: Alice Das Neves

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«Aktion: Bundesrätin Doris Leuthard dazu noch ein gratis Blocherli», verheisst www.claudiocaprez.ch. So viel menschenfreundliche Politik hat ihren Preis: Die 32 cm hohe, handbemalte Gipsfigur auf Lärchenholzsockel wurde in einer limitierten Auflage von 25 Stück geschaffen und ist für 80 Franken zu haben. Das gratis «Blocherli», so Claudio Caprez, entstand ursprünglich ebenfalls als Gipsfigur, sie stellt Christoph Blocher als Gartenzwerg dar. Als er die Figur geschaffen hatte, fragte Caprez bei Blocher an, ob er diese Figuren als «Blocherli» verkaufen dürfe und der erlaubte es und bedankte sich sogar, allerdings mit dem Hinweis, dass damit wohl kaum viel Geld zu machen sei. Damit lag der Unternehmer allerdings falsch.

«Ich konnte etwa 150 Blocherlis für 137 Franken verkaufen, doch viele Leute fragten nach einer günstigeren Figur.» So liess Caprez in China abklären, was die Serienproduktion kosten würde, und bestellte – via Deutschland – fünftausend Kunststoff-Blocherlis. Ein Artikel in der Coop-Zeitung vom Oktober 2004 stellte das Figürchen vor. «Am Dienstagmorgen erschienen 2,3 Millionen Coop-Zeitungen, da kamen die ersten Mails, am Freitagabend hatte ich alle meine 5000 Blocherlis verkauft und musste nachbestellen.»

Für den etablierten Kunstmarkt unmöglich

Noch immer hat Claudio Caprez ein paar der Figuren, «die gebe ich den Leuten als Give-aways. Aber so eine Haltung und so eine Geschichte machen einen in der etablierten Kunstszene unmöglich.» Die Erklärung dazu ist geradezu simpel: Caprez präsentiert dieser schöngeistigen Szene einen Politiker, der nicht in ihr Weltbild passt, und dann noch als Gag-Artikel: «Da bist du schon weg!» Doch noch etwas verbindet Caprez und Blocher: Beide sind fasziniert von den Werken Albert Ankers. Über Claudios Sofa hängt eine «Leserin» wie jene von Albert Anker. «Das ist natürlich nachgemalt, ein Anker-Zitat, aber es stellt meine Ex-Frau dar.» Ein anderes seiner Werke zitiert «Die Dorfpolitiker», ein Werk von Wilhelm Leibl aus dem Jahre 1877 – es zeigt den gesamten Bundesrat, wie er sich an seiner Sitzung «extra muros» in Flims über eine Zeitung beugt. Es hilft zwar, wenn man die Geschichte hinter dem Bild und damit seine Ironie versteht, aber, so Caprez: «Mit zunehmendem Alter hat man weniger die Verpflichtung, als Künstler verstanden zu werden.» Seine Partnerin Priska Schwab zeigt auf den Hund: «Buddha versteht ja auch nicht alles.» Der braune Labrador aus dem Jura hat keine Papiere, sagt Schwab lachend. Dass er Buddha heisst, verdankt er einem Trick seiner Herrin: Caprez und Schwab zogen seinen Namen zufällig mit Röhrchen, aber: «Ich habe einfach auf alle Röhrli Buddha geschrieben.» 


Herzlich willkommen in der Kunsthalle von Priska und Claudio.Petersburger Hängung im Wohn-/Schlafzimmer.

Schafe, Wölfe, Giraffen

Doch nicht nur von Hunden, von Tieren allgemein sind beide Kunstschaffenden hingerissen. Da steht Schwabs Giraffe, die einen Kronleuchter im Mund hält. Sie ist noch nicht fertig, aber sie leuchtet bereits, wie Claudio nicht ohne Stolz demonstriert. Im Atelier auf der Werkbank liegt ein Schaf mit Kopf und Rumpf, aber noch ohne Beine. Es soll schon bald als «Betonwesen» in Serie gehen. Vielleicht, dass sich der Wolf dann daran die Zähne ausbeisst. An der Wand dahinter steht im schwarzen Rahmen «Schafherde im Bergell», ein 80 x 60 cm messendes Ölgemälde, das Caprez 2022 als Abbild von einem Video-Still aus einer Giacometti-Dokumentation schuf. Giacometti, Segantini – auch sie hat Caprez studiert. So hat er Segantinis berühmtes Gemälde «Ave Maria a trasbordo» (1886) ironisch nachgemalt –
indem er hier die Schafe weglässt und die Fährleute auf den Handybildschirm starren lässt. Die Schafe haben sie wohl am Ufer vergessen. Eine Art Parallelwerk von Priska in der Schlafzimmeretage zeigt afrikanische Fischer am Nil.


«Die Leserin ist ein Anker-Zitat, es stellt meine Ex-Frau dar.»

131 nachdenkliche Hühner

«Wir brauchen niemals einen Therapeuten», sagt Priska. «Wir nehmen alles auf, verarbeiten es und schaffen daraus unsere Werke.» So auch bei Claudios Kieshühnern aus Nolla-Kies. «Als wir noch in Andeer wohnten, hatten wir Hühner in der Nähe, die von einem alten Mann gehirtet wurden. Wir nannten ihn nur den Hühnermann. Er gab uns immer Eier – und bei den Hühnern war ein Hahn, der immer krähte.»
Jetzt – in Sils – entstehen die Kieshühner. Immer wenn Priska mit Buddha spazieren geht, holt Claudio den Kies aus der Nolla. «Ich tu das oft, dass ich Material aus der Gegend nehme – und daraus habe ich dann meine Werke gestaltet.» Dabei geht es ihm darum, dieses Material in eine andere Form zu bringen, es zu verzerren, wie es der Zeit gemäss ist. So werde aus dem Naturprodukt Kies – «fast noch nachhaltig» – mit dem Epoxidharz als Werkstoff unserer Zeit eben ein Huhn. Auch das übergrosse Spatzenweibchen gehört zu diesen Tieren oder die aus Beton gegossenen und beschichteten Murmeltiere.

Kindergärtnerin und Maschinenzeichner

Kindergärtnerin Priska erzählt: «Im Seeland machte ich einige Ausstellungen, auf dem Twannberg, im Kongresshaus – und ich spezialisierte mich auf soziale Kunstprojekte, etwa auf einen Zirkus, dem es damals nicht gut ging, oder das Pfarrerhaus in Zürich oder die Stiftung AIDS und Kind. Die Werke wurden verkauft, die Einnahmen waren für die Kinder.» Schwab bildete sich bei Bettina Egger zur humanistischen Kunsttherapeutin aus. «Ich arbeitete mit den Kindern aus dem Kinderhort der katholischen Kirche und machte mit ihnen Maltherapie. Aber ich kam schnell davon weg, ihre Bilder interpretieren zu wollen – Kinder haben so viel Fantasie und es ist ehrliche Kunst.» Wie sie selber zur Kunst kam? «Ich habe einfach eine Erinnerung an meinen Lehrer in der Primarschule. Wir sollten ein Kirchenfenster malen und ich malte ein Blatt mit einer Schlange drauf, da sagte er: Du wirst mal Künstlerin und daran denke ich noch heute.» Claudio lernte sie auf Facebook kennen: «Ich schrieb ihm: Kannst du keine andere Kunst machen?» – «Und ich dachte mir: Da hat jemand eine freche Schnauze und sagt, was sie denkt und was sie fühlt. Es wäre ja auch komisch, wenn ein Werk allen gefallen würde.» So lernten sich die beiden kennen. «Und als meine Mutter starb, fragte ich mich, was will ich noch hier in Biel, also zog ich nach Graubünden, wo es mir gefällt, auch wenn mir der Bielersee manchmal hier schon etwas fehlt.»

Auch Claudio begann in einem «seriösen» Beruf, als Maschinenzeichner bei Ems Chemie. Das sieht man seinen Werken teilweise heute noch an. «Es war eine technische Grundausbildung, ein Handwerk, und es ist heute eine gewisse Basis für meine künstlerische Arbeit, die Ausbildung vermittelte mir die nötigen Kenntnisse. Nachher wechselte ich aber relativ schnell zum Archäologischen Dienst, wo ich zum
wissenschaftlichen Zeichnen kam.» Das Ziel dort war die möglichst klare, naturgetreue Wiedergabe von Objekten und Fundstücken, was genaues und exaktes Zeichnen voraussetzt – auch das prägte die späteren Werke. «Das zieht sich als roter Faden durch meine Arbeit. Ich durfte zum Beispiel die Ausgrabungsstätte in Domat Ems während der Eisenzeit visualisieren. Dazu musste alles aufgearbeitet und in Form von Bildern dokumentiert werden, um das Ganze wissenschaftlich darzulegen. Diese Arbeit gibt es so heute nicht mehr. Das wird heute alles fotografisch erfasst und nachher am Computer bearbeitet.»


Erinnert an Andeers Hühnermann – ein nachdenkliches Huhn aus Nolla-Kies.Buddha versteht auch nicht alles – Claudio träumt vom Bundesrat «extra muros».Hammurabis Löwen bekommen lange Beine.Dürfen wir vorstellen: Gian, Claudio und Giachen.

Charaktere und Charakter

Interessiert weise ich auf die langen Figuren. «Ich weiss nicht, warum die so gewachsen sind, es hat was Elegantes.» Schon die Etrusker schufen solche langen Figuren und natürlich Alberto Giacometti. «Bei mir ist Humor eine wichtige Komponente, eine Betrachtung aus dem Bauch, aus dem Herzen – die Abwendung vom Kopf. Weil ich mit Nachdenken gescheitert bin, versuche ich, mit dem Herzen dabeizusein.» Am Boden – zu Füssen von Caprez' schlanken Figuren – liegt eine Amphore. «Die hat uns ein Bekannter geschenkt. Ich bin nach wie vor historisch interessiert. Deshalb habe ich viele Künstlerbiografien gelesen und die Auseinandersetzung mit Künstlerinnen und Künstlern führt dazu, dass ich sie gerne zitiere und mich mit ihren Gestaltungs- und Maltechniken befasse. Mich fasziniert die Fülle der Techniken, die Menschen schon entwickelt haben. Es geht mir nicht darum, diese abzukupfern, sondern sie in die moderne Zeit umzusetzen. Natürlich gibts dabei auch den Aspekt, dass ich davon lebe – also vom Kunstmachen. Deshalb sollen meine Werke Menschen ansprechen, damit sie es cool finden und auch etwas dafür zahlen.» Zum Schluss des Gesprächs geht es um Charakter. «Wir leben in einer Gesellschaft, wo wir alles abwägen. Ich bin ein temperamentvoller Mensch, dieses korrekte Klima, das ertrage ich nicht. Wir sollten Charaktere erleben und wir müssen Charaktere aushalten.» Gegenseitige Rücksichtnahme ja, aber dafür auf die Knie gehen? Nein. Es reicht, sich in die Augen zu schauen, es reicht, das Kunstwerk zu betrachten – und dann den Konflikt auszutragen.


Priska, Buddha und Claudio – an diesen Schafen beisst sich der Wolf die Zähne aus.